J. Kunow u.a. (Hrsg.): Archäologie i. d. Rheinprovinz 1920-1945

Cover
Titel
Archäologie und Bodendenkmalpflege in der Rheinprovinz 1920–1945.


Herausgeber
Kunow, Jürgen; Otten, Thomas; Bemmann, Jan
Reihe
Materialien zur Bodendenkmalpflege im Rheinland 24
Anzahl Seiten
448 S., ca. 200 Abb.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Arne Lindemann, Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam

In den letzten gut zwei Jahrzehnten erlebte die Fachgeschichtsforschung zur Prähistorischen Archäologie in der NS-Zeit einen regelrechten Boom. Das Hauptaugenmerk lag dabei auf den reichsweit operierenden und untereinander konkurrierenden Organisationen „Amt Rosenberg“ und „Ahnenerbe“ der SS. Dadurch ist ein Forschungsstand erreicht, der die personellen und institutionellen Verstrickungen der Prähistorischen Archäologie mit dem NS-Regime, ihre Traditionen, Kontinuitäten und Brüche, die Hauptakteure, Netzwerke, Arbeits- sowie Forschungsschwerpunkte auf Reichsebene grundlegend beschreibt.1 Trotz der erreichten Breite ist zu konstatieren, dass das „polarisierende Paradigma“ (S. 86) der zwei konkurrierenden Gruppen auch auf die forschungsgeschichtliche Arbeit nach 1990 einen starken inhaltlichen Sog ausübte und diese bisweilen im Übermaß prägte. Dadurch gerieten andere Protagonisten der Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie aus dem Fokus.

Um diesem Desiderat zu begegnen, setzt der hier besprochene Sammelband zu einer regionalen Tiefenanalyse an und untersucht beispielhaft die Entwicklung der Archäologie und Bodendenkmalpflege in der Rheinprovinz zwischen 1920 und 1945. Die regionale Perspektive deckt mitunter erhebliche Unterschiede in der Entwicklung des Fachs auf und lässt die Rolle der staatlichen Einrichtungen wie der Provinzialverwaltungen sowie des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) deutlicher hervortreten. Der Rheinprovinz wird hierfür eine Schlüsselstellung eingeräumt, da die dortige Wirtschaftskraft, die geographische Grenzlage und die umtriebige Provinzialverwaltung den Boden dafür bereiteten, dass sich z.B. die rheinischen Landesmuseen in Trier und Bonn auf nationaler aber auch internationaler Ebene zu Einrichtungen mit Vorbildfunktion entwickeln konnten.

Der Band, der auf einer im Mai 2012 in Schleiden stattgefundenen Tagung fußt2, behandelt die ganze Bandbreite der regionalen und überregionalen Akteure, die die Archäologie und Bodendenkmalpflege in der Rheinprovinz formten: den Provinzialverband, die Museen und Vereine, die Universitäten sowie natürlich auch das „Amt Rosenberg“ und das „Ahnenerbe“ der SS, dem explizit das noch wenig beleuchtete REM beigestellt wird. Diesem breiten Ansatz geschuldet umfasst der Band 26 Einzelbeiträge, die in sechs Blöcken thematisch zusammengefasst sind.

Das einführende Kapitel umreißt in vier Beiträgen die historischen, administrativen sowie politischen Rahmenbedingungen für die Archäologie und Bodendenkmalpflege in der Rheinprovinz. Die Rheinprovinz stellte mit den von 1918 bis 1930 durch die Entente-Mächte besetzten linksrheinischen Gebieten die konfliktträchtigste Region der Weimarer Republik dar. Diese Situation führte zur Verfestigung des schon vor dem Ersten Weltkrieg verankerten Bildes des Rheinlandes als „Grenzland“ und „schützendes Bollwerk“ gegen „volksfremde Einflüsse“, wie es 1935 der Landeshauptmann der Rheinprovinz formulierte (S. 33). Die Kulturträger ordneten sich in diese Politik ein. Mit der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten bekam die Kulturpolitik eine neue Dynamik, die eng mit dem 1933 als Leiter der Abteilung Kultur- und Denkmalpflege in der Provinzialverwaltung eingesetzten Hans-Joachim Apffelstaedt verbunden ist. Vor allem durch eine geschickte Personalpolitik, die Investition enormer Geldmittel und eine intensive populistische Arbeit, wehrte er Zentralisierungsversuche staatlicher und parteipolitischer Stellen, vor allem durch den Reichsbund für Vorgeschichte erfolgreich ab. Apffelstaedt war somit der Garant für eine relativ autonome, durch die Provinzialverwaltung bestimmte, Kulturpolitik der Rheinprovinz.

Der zweite Block widmet sich den reichsweit operierenden Akteuren der Prähistorischen Archäologie und deren Einflussnahme auf die Rheinprovinz. Hier ist vor allem der Beitrag von Anne C. Nagel zum REM herauszuheben, eines bisher für die Kultur- und Wissenschaftspolitik in seiner Bedeutung wohl weitgehend unterschätzten Protagonisten. Bezüglich der Archäologie besaß das REM vor allem durch seine Dienstaufsicht über die Universitätsprofessoren und die Direktoren staatlicher Museen großen Einfluss. Im Vergleich zu den Ämtern Wissenschaft und Erziehung im REM nahm sich das dritte Amt Volksbildung, in dem auch der Aufgabenbereich Bodendenkmalpflege angegliedert war, mit einer finanziell und personell geringeren Ausstattung eher bescheiden aus. Auch scheinen die im Beitrag skizzierten Leistungen des Bereichs Bodendenkmalpflege in ihrer Bedeutung eher marginal. Es obliegt aber zukünftigen Forschungen, die Rolle des REM im Bereich Archäologie bezüglich seiner Netzwerke und des „Kunstschutzes“ in den besetzten Gebieten weiter zu hinterfragen.

Mit den Museen und Vereinen nimmt das dritte Kapitel in acht Beiträgen eine kulturpolitische Größe in der Rheinprovinz in den Blick, deren Entwicklung stark durch Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft im regionalen Ausgrabungswesen geprägt war. Für die Rheinprovinz können drei Entwicklungsphasen ausgemacht werden, deren Allgemeingültigkeit zu überprüfen ist: Erstens die systematische Beschäftigung der Heimatmuseen mit den regionalen Bodendenkmalen bis zur Regulierung des Ausgrabungswesen durch das preußische Ausgrabungsgesetz 1914 und seine Ausführungsbestimmungen 1920; zweitens der konfliktreiche Versuch der Provinzialmuseen in den 1920er-Jahren, die archäologische Sammlungs- und Ausgrabungstätigkeit der Heimatmuseen zu beenden und unter ihrer Ägide zu etablieren sowie drittens die vor allem von Rudolf Stampfuß für den Reichsbund für Vorgeschichte forcierte Fortführung dieses Konflikts in den 1930er-Jahren, der in der Rheinprovinz schon 1933 zu Gunsten der Provinzialverwaltung und gegen den Reichsbund entschieden wurde. Die hauptsächlich an den Biographien der Museumsmitarbeiter angelehnten Beiträge beschreiben die Museumsarbeit anhand der Forschungs-, Sammlungs- und Ausgrabungstätigkeit. Leider bleibt eine Auseinandersetzung mit den Ausstellungen, als ein zentrales Arbeitsfeld der Museen und breitenwirksames Medium der Popularisierung archäologischen Wissens, weitestgehend aus.

Zwei zentrale Beiträge des Bandes beschäftigen sich im vierten Block mit der Bodendenkmalpflege im Rheinischen Provinzialverband in den Arbeitsbereichen Bonn und Trier. Sie zeichnen eindrucksvoll nach, mit welchem konsequenten und strukturierten Vorgehen der Provinzialverband ab 1933 damit begann, seine Vormachtstellung im Kulturbereich unter besonderer Zuhilfenahme der Archäologie und Bodendenkmalpflege auszubauen. Immer wieder zeigt sich dabei, dass die Macht vor allem durch geschickte Personalpolitik gesichert wurde und dabei auf gut ausgebildete und fachlich bereits ausgewiesene Wissenschaftler mit erkennbarer Nähe zu den parteipolitischen Organisationsstrukturen zurückgegriffen wurde. Ausgestattet mit Personal, finanziellen Mitteln und neuester Technik wurden diese programmatisch in die Lage versetzt, einer archäologischen Forschung nachzugehen, die der nationalsozialistischen Ideologie Argumente liefern sollte. In diesem Rahmen intensivierte die Provinzialverwaltung die Erforschung der „germanischen Vorgeschichte“, wobei die bis 1933 vorrangig betriebene Untersuchung von Bodendenkmalen römischer Zeitstellung gegen die Angriffe des Reichsbundes für Vorgeschichte stets verteidigt wurde.

Ein großes strategisches Interesse zeigte die Provinzialverwaltung auch an der Etablierung der prähistorischen Archäologie an den Universitäten, was sich unter anderem in der Einrichtung und den Ausbau der Lehrstühle zeigte. Der fünfte Block beleuchtet die Hochschulstandorte im Rheinland (Köln und Bonn) vor allem über die biographische Bewertung der dort wirkenden Protagonisten.

Für den abschließenden Block zu Westforschung und Archäologie in den besetzten Nachbarstaaten soll hier vor allem auf den Aspekt der Kontinuitäten nach 1945 verwiesen werden. So lebten z.B. nicht nur die von der Westforschung im besetzten Frankreich und Belgien etablierten wissenschaftlichen Netzwerke bis in die 1960er-Jahre hinein weiter, sondern auch ihre Theorien und Ergebnisse finden ihre wohl unbewusste Fortsetzung in der Deutschen und Belgischen Forschung bis in die 1980er-Jahre hinein. Ganz allgemein zieht sich das in mehreren Beiträgen benannte Desiderat der Fachgeschichte in der Nachkriegszeit wie ein roter Faden durch den Band. Der strukturelle und personelle Ausbau der rheinischen Bodendenkmalpflege, der Museen und der Universitäten in der NS-Zeit schuf Fakten, die in der Nachkriegszeit kaum in Frage gestellt wurden. Die etablierten Netzwerke hielten über das Kriegsende hinweg und sollten zukünftig verstärkt in forschungsgeschichtliche Betrachtungen einbezogen werden.

Der vorliegende Sammelband eröffnet mit dem Blick auf die regionale Ebene für die Fachgeschichtsforschung der Prähistorischen Archäologie eine wichtige neue Perspektive. Hierfür führen die Beiträge in unterschiedlichem Umfang und Tiefe die ganze Breite der regionalen und überregional wirkenden Protagonisten der Archäologie und Bodendenkmalpflege in der Rheinprovinz vor. Positiv ist daran, dass dem Leser die Schwerpunkte der Entwicklung aus ganz verschiedenen Blickwinkeln entgegentreten, was die Wechselwirkungen innerhalb des Untersuchungsgegenstandes deutlich hervortreten lässt. Hierdurch kommt es aber auch zu häufigen Wiederholungen von Fakten, Ereignissen und Personalien, die eine Gesamtübersicht und Einordnung doch sehr erschweren. Die einleitenden Beiträge können dies nicht immer abfangen. Vielleicht hätte ein Sachregister dieses Manko beheben können. Für die Fachgeschichte dadurch ungetrübt bleibt aber die Leistung des Bandes, eine erste umfassende regionale Teilstudie zur Entwicklung der Archäologie und Bodendenkmalpflege in der NS-Zeit vorgelegt zu haben. Es bleibt zu hoffen, dass der Band weitere ähnlich angelegte Arbeiten anregen und befruchten wird.

Anmerkungen:
1 vgl. u.a. Heiko Steuer (Hrsg.), Eine hervorragende nationale Wissenschaft. Deutsche Prähistoriker zwischen 1900 und 1995, Berlin 2001; Achim Leube / Morten Hegewisch (Hrsg.), Prähistorie und Nationalsozialismus. Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933–1945, Heidelberg 2002; Uta Halle, „Die Externsteine sind bis auf weiteres Germanisch!" Prähistorische Archäologie im Dritten Reich, Bielefeld 2002; Judith Schachtmann / Michael Strobel / Thomas Widera (Hrsg.), Politik und Wissenschaft in der prähistorischen Archäologie. Perspektiven aus Sachsen, Böhmen und Schlesien, Göttingen 2009; Landesamt für Archäologie Dresden (Hrsg.), Umbruch 1945? Die prähistorische Archäologie in ihrem politischen und wissenschaftlichen Kontext, Dresden 2012.
2 LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland, Tagungsprogramm, <http://www.dnk.de/_uploads/media/1266_Tagungsprogramm%20Arch%C3%A4ologie%201920-1945.pdf> (15.01.2014).

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